Folge 9 ADHS. ADS, Autismus, Tourette, Asperger, Sensitiv, Neurodiversität, Christian Frautschi
- frautschi
- 10. Nov.
- 22 Min. Lesezeit

Christian
Heute Morgen bei meinem ersten Kaffee am Morgen, der eigentlich aufwecken sollte, hat er auch gemacht, habe ich noch schnell ein bisschen im Internet geblättert und habe gelesen. Knochen zerlegt, Gora Schumacher läuft wegen ADHS auf Krücken. Sie hatte einen Treppensturz und jetzt läuft sie an Krücken und da soll ADHS schuld sein.
Aber wenn ich so überlege, wenn ich das Bild so anschaue von ihr, ich denke eher, dass es die Schwerkraft ist vom Holz vor der Hütte, wie man so schön sagt, oder vielleicht der eingeschränkte Blick nach unten. Eher der Fall war, aber das werden wir vielleicht in der nächsten Zeit noch thematisieren.
Marco
Ja, ich glaube, wir werden darauf kurz zurückkommen müssen. Wir sprechen in dieser Folge ganz generell über verschiedene Formen von Neurodiversität. Wir werden auf das Wort zurückkommen, also ADHS, Autismus, Legasthenie, Hochsensitivität.
Marco
Ich habe vorhin das Wort Neurodiversität schon angesprochen. Früher hat man Störungen gesagt. Heute nennt man sie nach Möglichkeit nicht mehr Störungen, sondern man nennt diese Erscheinungsformen Vielfalt des Denkens.
In der Tat sind es immer mehr Menschen, nämlich 15 bis 20 Prozent, die anders denken oder fühlen oder sich verhalten als die Mehrheit. Leute eben, die von irgendeiner dieser Störungen betroffen sind und wo man heute versucht, sie nicht als Störungen zu empfinden, sondern als Bereicherung der Gesellschaft. Wichtig ist dabei auch, offen mit der ganzen Thematik umzugehen, offen auf die Menschen zuzugehen, sie nicht zu pathologisieren, also nicht für krank zu halten, sondern Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sie sich entfalten können.
Was wohl nicht immer ganz einfach ist, da werden wir darauf zu sprechen kommen. Christian, du siehst viele von diesen Menschen in deiner Praxis, du bist selber auch, wir werden darauf dann auch zu sprechen kommen, ein Betroffener von dieser ganz großen Gruppe, wenn man alle dazu zählt, man zählt auch Legastheniker dazu, Leute mit Dyskalkulie, also Rechenschwäche, Leute mit Dyspraxie, Bewegungsstörungen, alle die zusammen sind, ein großes Feld, 15 bis 20 Prozent, also wenn es 20 wären, ist das jeder Fünfte. Die Leute suchen zum Teil Hilfe, brauchen sie, möchten sie, und da kommst jetzt du ins Spiel, Christian, unter anderem. Wer kann solchen Leuten helfen oder was braucht es, damit man diesen Leuten helfen kann bei ihren Problemen?
Christian
Ja, wer kann diesen Leuten helfen? Diesen wunderbaren Geschöpfe, wie du gesagt hast, man kommt ein bisschen vom Begriff Störung weg, bei ADHS steht es auch immer noch in der Bezeichnung als Störung, ich habe das noch nie als Störung gesehen, ich habe mich auch nie gestört gefühlt, und irgendwo ein bisschen anders sein ist ja auch spannend, nur, wie gesagt, gibt es viele Leute, die halt eben dementsprechend Hilfe brauchen. Wer kann Hilfe bieten?
Ich sage jetzt mal was ganz Krasses vielleicht für die einen Therapeuten oder Möchtegern-Therapeuten oder was auch immer, oder Coaches, ADHS-Coaches und was auch immer, da auf dem Markt angeboten wird, diese Leute verstehen und diese Leute, denen Leute helfen können, kann meiner Meinung nach nur jemand, der selbst so ist.
Marco
Weil nur er wirklich weiss, was in ihnen vorgeht.
Christian
Unser Denken, mein Denken, unser Denken ist anders, ja, es ist ein bündliches Denken, es ist ein Denken, das sehr farbig, sehr bunt ist, aber nicht immer irgendwo zugeordnet werden kann, ja. Und dieses Denken, wie wir funktionieren, wie wir Bilder verarbeiten, linke Hälfte, rechte Hälfte vom Gehirn, das kann nur jemand, der wirklich so tickt, so ist, diese wunderschöne Eigenschaft hat. Und was es schlussendlich bedeutet, so zu sein, da gibt es hunderttausend Bücher dazu, das kann ein Coach lernen, das stimmt, ja.
Was resultiert sich das für diese Personen? Sie können nicht schreiben, sie können nicht lesen, oder nicht richtig lesen, oder was auch immer. Das steht, wie gesagt, in Büchern, das können solche Coaches lernen, wie das eigentlich als Resultat schlussendlich ist, oder in Schulnoten, oder wo auch immer, sich abzeichnet.
Aber das Denken selbst und wie wir sind, das kann nur ein Logistiker, ein ADHS-Lehrer, oder wie man auch immer sagen will, es spielt eigentlich keine Rolle, weil es sind sinnliche Menschen, es sind sehr gefühlsvolle Menschen, wo ich ja alles früher selbst auch nicht gewusst hatte, dass ich so bin.
Marco
Und sind die dann aber in der Gruppe einander relativ ähnlich? Du hast ja vorher gesagt, als Beispiel, das kann nur ein Legastheniker. Jetzt kommt aber, angenommen, ein Tourette-Patient zu dir, bist du dem dann nahe genug, oder wäre es noch besser, wenn ein Tourette-Betroffener mit dem arbeiten würde?
Christian
So wie ich arbeite, erkenne ich den Menschen, ich erkenne die Seele. Ich erkenne, wie dieser Mensch, wie diese Seele überhaupt funktioniert. Und diese Störungen, oder auch Autismus, oder was auch immer, wo dann irgendwie ein Ausscheren in Bewegungen, in Ausdrücken, oder was auch immer, dann irgendwo in Erscheinung tritt, das ist nur ein Ausdruck von einer inneren Wut, von einer Anspannung, die sich dann mit einem Ausdruck, das kann auch sein, dass sich jemand tausendmal am Tag sagt, Arschloch, Arschloch, aber ist ein völlig normaler Mensch und kann ganz normal im Leben funktionieren. Und wo eben halt einfach so einen Tick hat, das sind, wie gesagt, nur Ausdrücke von der Tiefe, aus dem Inneren, wo wie einfach etwas explodiert, wie ein Kochtopf, wenn du den Deckel drab nimmst, wo halt einfach immer wieder geschieht, dass es innerlich nicht vollkommen zusammenfällt.
Marco
Und sind diese Explosionen jetzt auch im Verhältnis zu, ich weiß nicht, was zum Druck, der raus muss, es gibt ja eben ganz unterschiedliche Formen bei diesem Tourette-Syndrom, also die einen machen seltsame Bewegungen, andere machen Geräusche, manche rufen laute Schimpfwörter in die Gesellschaft hinein, das sind die auffälligsten eigentlich. Es gibt auch wenig auffällige, ist das ein Zufall, wie sich das äußert, oder hat es auch Hintergründe, bei wem kommt mehr raus und etwas Auffälligeres?
Christian
Es hat Hintergründe, ja. Ich habe letztens einen Film gesehen, wo so eine Person porträtiert worden ist und halt durch meine Fähigkeiten, ich hinterfrage dann alles. Also ich habe mein Leben lang schon immer hinterfragt.
Und habe dann bekommen, dass wo seine Mutter mit ihm schwanger war, irgendwo im vierten, fünften Monat ist etwas geschehen mit Gewalt und das kleine Geschöpft da im Mutterleib nimmt das wahr, aber weiss nicht, was das ist, möchte eigentlich streien, wenn es im Leben sonst wäre, würde es schreien, würde es weinen, und kann aber nicht. Wie völlig blockiert und das wiederholt sich halt dann nachher im Leben und kommt dementsprechend wie ein Hilfeschrei eigentlich zum Vorschein. Obwohl das mit dem, was im Moment geschieht, überhaupt keinen Zusammenhang hat.
Überhaupt nicht. Eben, es gibt solche, die schlagen den Kopf an die Wand oder was auch immer, weil sie dann halt eben nachher an der Wand stehen. Ich habe mal jemanden gekannt, ein sensationeller Automechaniker mit einem riesen, riesen Wissen.
Der musste halt einfach schauen, dass der Lift, wo er gearbeitet hat, nicht so steht, dass er den Kopf dann angeschlagen hat, weil er eben diese Zuckungen hat. Aber es sind effektive, es sind Aufschreie, die nicht verarbeitet werden konnten. Und man sagt ja auch bei den einen, dass das besser wird, je älter sie werden, oder je mehr selbstbewusster sie werden.
Wenn jemand mit sich arbeitet und mehr Selbstbewusstheit, mehr Selbstsicherheit bekommt, dass das er sich verbessern kann, weil diese Ausraster in dem Sinne nicht mehr so nötig sind.
Marco
Aus schulmedizinischer Sicht gilt das Tourette-Syndrom als unheilbar. Man kann es ein bisschen eingrenzen mit Medikamenten, was man tut. Du sagst, jetzt im Alter wird es vielleicht etwas milder.
Kannst du noch zusätzlich etwas tun? Und was machst du mit deinen Klientinnen und Klienten? Wo landen sie am Ende?
Christian
Was ich mit solchen Klienten mache? Ich weiss ja von niemandem irgendwo etwas, aber ich spüre das denen an. Ich merke das selbst, wenn eine Wut aufsteigt und ich da raus kann.
Oder was auch immer. Beruhigen. Ich arbeite bei solchen Klienten extrem viel am Kopf, um das ganze Nervensystem zu beruhigen.
Die ganzen Hirnhälften wieder miteinander kommunizieren lassen, dass die Wege wieder geöffnet sind, dass die Anspannungen gelöst werden, dass sie viel entspannter ins Leben zurückgehen können.
Marco
Wenn du sagst, du arbeitest am Kopf, das heisst ja auch, es ist eine Geschichte des Kopfes.
Christian
Ja. Wie sagt man denn heute den Neuro... Wie hast du gesagt?
Neuro...
Marco
Neurodiversität.
Christian
Neurodiversität.
Marco
Auch eine Form von möglichen Hirngeschichten.
Christian
Das ist eben so ein Wort, das höre ich von dir. Ich habe für das noch kein Bild, darum kann ich es mir nicht werken und musste dich jetzt eben auch nachfragen nach dem. Vielleicht bis in ein paar Jahren hat das ein Bild bekommen und dann kann ich mir das werken.
Legasthenie weiss ich mittlerweile, ADHS und so auch. Wobei ich bis 1939, wo ich meine Firma damals geschlossen habe, habe ich nicht gewusst, dass ich Legastheniker bin oder ADHS oder was auch immer. Das habe ich auch erst im Nachhinein erfahren, weil jemand gesagt hat, aber du bist ja auch Legastheniker.
Ich habe gesagt, okay, dann bin ich halt das, aber ich bin so, wie ich bin. Und wie gesagt, beruhigen, entspannen, entspannen. Vor allem bei diesen Kindern, ich rede ja mit denen nicht, ich weiss ja nichts von denen im Voraus.
Und immer, was ich von denen dann höre, wenn sie aufstehen, das hat jetzt entspannt. Oder dass sie nachher, einmal hat ein Kind zu der Mutter gesagt, Christian hat mir den Kopf aufgeräumt. Es ist wortwörtlich ein Aufräumen, ein Zuordnen von den Gefühlen, von den Emotionen, vom Empfinden her oder was auch immer.
Und dass natürlich solche Personen mit diesen wunderbaren Eigenschaften, die halt einfach sehr sinnlich sind, sehr gefühlsvoll sind, teilweise halt auch sehr emotionell sind, dass das halt einfach nur, wie gesagt, wunderbare Gaben sind, die immer mehr, wie soll ich sagen, wir lernen dürfen, damit überhaupt umzugehen. Ich wusste ja auch nicht, wie ich funktioniere. Aber ich habe funktioniert.
Ich habe in meinem Leben noch nie etwas gemacht, wie man es macht. Aber ich habe gemacht. Einfach aus dem Bauch heraus, ich habe gemacht.
Und ich habe dann, wo ich dann irgendwie einmal realisierte, wie bin ich überhaupt, habe ich solche Leute, wo ich gesehen habe, dass sie gleich sind, dass jemand, der so ist, den anderen spürt. Wenn ich in der Praxis solche Personen habe, dann komme ich hinein, wir schauen uns an, ohne irgendein Wort zu sagen, wir verstehen uns. Ohne ein Wort gesprochen zu haben, wir verstehen uns.
Weil unsere Seele spürt, wie die andere Seele tickt. Das genügt. Und allein dieses Verstanden werden, das ist auch ein Faktor, der heilen kann.
Dass überhaupt jemand spürt, der weiss, wie ich bin, und der kann mich auch so stehen lassen. Und das ist auch ein sehr grosser Teil von meiner Arbeit, auch dann diesen Personen zum Beispiel etwas zu sagen, mit einem einzigen, ganz, ganz kurzen Satz, der auf diese Person zutrifft, wo ich spüre, wo die Schwierigkeit da ist. Ich hatte diese Woche eine ehemalige Schulkollegin hier, und die hat gesagt, weisst du, ich habe lange nicht gewusst, dass ich Legastheniker bin.
Sie konnte einfach nicht lesen, sie konnte nicht schreiben. Sie habe erst später mit dem Geschäft, sie ist Unternehmerin heute, hat ein Geschäft übernommen von den Vorfahren, von den Eltern, musste sie sehr viel schreiben, und durch das hat sie eigentlich selbst das Schreiben beigebracht, das, was sie in der Schule eigentlich gar nicht richtig aufnehmen konnte. Und sie hat gesagt, weisst du, es ist schon doof eigentlich, dass ich das so lange nicht gewusst habe, weil ich habe immer gedacht, wenn ich im Deutsch einen Aufsatz nicht schreiben kann, wenn ich nicht etwas vorlesen kann, wenn ich nicht ein Diktat machen kann, weil ich die Wörter in dem Sinne nicht höre, ich sei dumm.
Und diese wunderbaren Eigenschaften, das hat mit Dummheit schlichtweg überhaupt nichts zu tun.
Marco
Das ist ja wirklich auch ein Verständnis, das sich jetzt ausbreitet. Früher tatsächlich hat man das oft ja nicht erkannt, weil natürlich jetzt für diese Leute sehr unglücklicherweise das Aufnehmen von Wissen in unserer Gesellschaft normalerweise einfach zu einem grossen Teil über Buchstaben und Wörter passiert. Und das ist genau das, was man dann als Betroffener nicht kann.
Also du ja auch.
Christian
Ja, sicher. Ich konnte kein Buch lesen. Ich kann keine Bücher lesen, aber ich kann Bücher schreiben.
Weil wenn ich schreibe, dann schreibe oder beschreibe ich Situationen oder Bilder. Wenn ich schreibe, dann sind 100.000 Bilder gleichzeitig. Und dann schreibe ich, ich schreibe das nieder.
Wenn ich halt mal dann einen Abschnitt geschrieben habe, dann muss ich halt dann die gleiche Zeit, wo ich geschrieben habe, verwenden, um im Wort die rot angeschriebenen Sätze, die rot angeschriebenen Wörter zu korrigieren. Weil ich mache natürlich heute genau gleich viele Fehler wie früher auch. Aber die Hilfsmittel erlauben mir heute trotzdem relativ gut ein Buch zu schreiben.
Und sonst habe ich dann im Endeffekt noch einen Legastheniker, der neben mir ...
Marco
Einen Lektor.
Christian
Einen Lektor, der kein Legastheniker ist, der dann meine Bücher dementsprechend korrigieren kann oder die Satzstellung so anpassen kann, dass es für die gestörten und nicht gestörten Menschen zu lesen ist.
Marco
Und eben von denen, das müssen wir auch wieder sagen, gibt es prozentual mehr, als man gemeinhin so denkt. Bei den Tourette-Betroffenen, von denen wir vorher schon gesprochen haben, sind es ungefähr ein Prozent der Bevölkerung. Das ist eigentlich recht viel.
Ich glaube, die leben zum großen Teil relativ unauffällig. So oft fällt einem das ja nicht auf.
Christian
Es fällt dort eigentlich nur auf, wenn es wirklich mit einem Wort zum Ausdruck kommt. Oder einfach mit einer Handlung, mit dem Kopf oder was auch immer. Aber wer sieht das?
Es hat wirklich sehr, sehr wenige. Andere Stottern zum Beispiel, das geht eigentlich in das Gleiche hinein mit dem Stottern. Aber logisch, zum Glück hat es da nicht so viele.
Was ich noch dazu sagen muss, überhaupt mit all diesen Störungen oder mit diesen Charaktereigenschaften, auch mit Autismus oder was auch immer, oder Asperger-Syndrom, diese Menschen selbst eigentlich in der Tiefe, vor allem so Asperger-Syndrom, die in sich selber sind eigentlich sehr, sehr zufrieden und für sie stimmt das so. Viele denken, diese Menschen, das sind arme Menschen, denen müssen wir helfen. Ja, man darf denen helfen, wenn man sie versteht.
Aber viele sind eigentlich gar nicht unbedingt unglücklich, sondern einfach manchmal missverstanden oder verstehen sich selbst nicht. Aber manchmal spielt es auch keine Rolle.
Marco
Man kann ihnen helfen, ihren Platz im Leben zu finden. Es gibt in der Gesellschaft Platz für sie, nur ist es vielleicht nicht immer ganz einfach.
Christian
Ja, es braucht diese Leute. Jede Firma braucht Leute, die nicht nur einfach buchhalterisch so und so und so und so arbeiten, sondern auch die, die entwickeln, die erfinden. Und diese Leute, die sind genauso gefragt wie andere Leute auch.
Ich habe einen Film gesehen, der sehr, sehr spannend war. In dieser Firma haben, glaube ich, sechs Mitarbeiter gearbeitet, und die waren vollkommen verschieden. Der eine war Autist, der andere hatte ein Asperger-Syndrom, der andere war Legastheniker, der andere war ...
Jeder von diesen sechs hat irgendwie eine Charaktereigenschaft, die die anderen nicht haben. Aber sie als ganzes Team waren unheimlich kreativ. Die waren sowas von kreativ und sehr bekannt, wo sie einfach die Ideen kreieren mussten.
Wie machen wir das? Wie stellen wir das dar? Wo eine rein strukturierte Firma schlichtweg nicht möglich ist, ein solches Resultat zu bringen.
Marco
Und da, glaube ich, findet ja auch ein Umdenken statt in den Firmen. Es gibt ja offenbar Firmen, die ganz gezielt Leute, die von irgendetwas, von diesen Syndromen oder Erscheinungen betroffen sind, einzustellen, weil sie wissen, die bringen etwas Zusätzliches ein.
Christian
Ja, man muss diese Leute halt einfach machen lassen. Man muss sie machen lassen. Solche Leute müssen ja in ein separates Büro gestellt werden.
Das klingt ja so blöd. Nein, nein, die müssen einfach ihre Umgebung haben, wo sie ihre Ruhe haben. Wenn ich schreibe, ich muss vollkommen in meinem, wie soll ich sagen, wie in einer meiner Blase sein.
Ich kann nicht einfach hingehen und schreiben, sondern es muss sehr viel stimmen, dass die Gefühle und die Emotionen und alles überhaupt da ist. Und ich da mich einfach in diesen Gefühlen und Emotionen irgendwie zu Worten kreieren lasse. Und es kann sein, dass teilweise im Hintergrund irgendwie eine klassische Musik läuft.
Es kann aber auch sein, dass am anderen Tag irgendwie etwas völlig anderes, Jazz läuft oder was auch immer. Einfach irgendwo, wo es mir einen Halt gibt, aber ich trotzdem in meiner Blase bin. Und dann kann ich kreativ sein und kann schreiben.
Und so ist das halt mit diesen Leuten, die müssen ihren Raum haben, ihren freien Raum haben, dass sie dementsprechend so funktionieren können. Also für Legastheniker zum Beispiel oder ADHS oder was auch immer, in einem Grossraumbüro zu arbeiten, ist Horror. Weil die nehmen so viel wahr rundherum, dass sie sich gar nicht mehr überhaupt konzentrieren können auf ihre Arbeit.
Wir haben da einen Schulbank, der sieht ein bisschen ähnlich aus wie der, der zu unserer Zeit in den Schulen stand. Da hatte es noch ein Tintenfass, die waren bei uns auch noch da, aber da haben wir schon andere Schreibwerkzeuge. Die Tinte, der Pelikanfüller, die Pelikanfüller haben wir da gehabt.
Aber in der Schule hatten wir Klassen mit 30 bis 40 Kindern. 30 bis 40 Kindern in einer Klasse. Ich bin auf dem Hirzel aufgewachsen, da habe ich meine höhere Schulbildung genossen auf 700 Meter.
Und wir hatten Klassen zwischen sicher 2, 33 bis 40 Kindern. Und das war natürlich extrem schwierig für mich überhaupt, mich da zu konzentrieren. Außer die Materie hat mich interessiert.
Da war ich der Beste, weil es mich interessiert hat. Aber wenn es um Deutsch gegangen ist oder was auch immer, Diktat oder Lesen und so, dann draußen war es viel interessanter. Ich konnte mich nicht konzentrieren, ich konnte das nicht lesen.
Marco
Gehen wir vielleicht etwas ausführlicher auf ADHS, das du schon erwähnt hast. Das ist jetzt eben die Erscheinungsform, die das Wort Störung noch immer im Namen trägt, weil der jetzt fest steht. Also Aufmerksamkeitsdefizit, Hyperaktivitätsstörung, wo man ja auch versucht vom Wort Störung wegzukommen.
Die sind wahrscheinlich die, die es im Leben am schwierigsten haben, weil sie wirklich total spezielle Bedingungen brauchen. Und es sind viele, man sagt es sind 5% der Kinder, 3% der Erwachsenen. Wie geht die Gesellschaft mit Ihnen um oder was müssen Sie selber machen, um sich gut einzurichten im Leben?
Christian
Das ist ein sehr, sehr großes Thema. Das war früher kein Thema, zu meiner Zeit kannte das niemand. Okay, man versuchte wenigstens bei mir irgendwie mit der Handschrift etwas zu machen.
Ich musste nach der Schule 3 oder 4 Stunden x verschiedene Füllfederhalter ausprobieren, mit welchen ich am schönsten schreiben konnte. Man wusste ja nicht, was man mit mir sonst machen soll. Irgendwo war halt, egal welcher Füllfederhalter, keiner war zuständig für die schöne Schrift, sondern da war nur ich zuständig.
Geschweige von den vielen Flecken, die dieser Füllfederhalter gemacht hat, weil ich immer wieder zu fest aufs Blatt gedrückt habe und da die schönen schwarzen Kleckse gegeben hat. Es ging halt einfach nicht, es ging schlichtweg nicht, weil ich kann nicht schön schreiben, weil ich, wenn ich schreibe, anfange zu schreiben, bin ich mit den Gedanken schon 2-3 Wörter weiter vorne. Wie will ich da Holz schön schreiben, wenn ich da vorne irgendwie schon beim Tisch bin?
Das geht nicht. Also es ist irgendwo ein, wie war jetzt das, so gut, okay, und dann schreibe ich das irgendwie nieder. Und dass das da dementsprechend auch nicht so schön zum Lesen ist, ist normal.
Marco
Und das ist ja auch das Bild, das du hattest, du hast ja zu Beginn unseres Gesprächs die Cora Schumacher erzählt, die die Treppe runtergefallen ist, wo sie selber ja auch sagt, sie war gedanklich schon fünf Stufen weiter. Und das ist ja dasselbe Bild eigentlich wie du jetzt mit dem Schreiben, in dem Sinne plausibel.
Christian
Ja, ja, es ist plausibel und auf die andere Seite ist es natürlich lächerlich, dass eine Person auf ihrem Instagram-Profil irgendwie wieder mit den Krücken abgebildet ist und auf sich aufmerksam machen muss. Und da ADHS so in voller Munde in jeder Gesellschaftsschicht da ist, von Kleinkind bis Erwachsenen, das ist auch dort aktuell heute, hat sie das natürlich dementsprechend so geschrieben, dass es auch von einer Zeitung dann übernehmen wurde, um möglichst viel Aufmerksamkeit zu erreichen. Aber ja, sicher ist es so, aber ich bin noch nie, ich bin noch nie eine Treppe hinuntergestürzt, weil ich irgendwie zu viele Stufen nicht realisiert habe oder was auch immer.
Marco
Also das heisst jetzt, du glaubst ihre Geschichte nicht wirklich?
Christian
Nein. Sonst hätten wir ja von fünf bis zehn Leuten, die tagtäglich die Treppe hinunterstürzen würden.
Marco
Ja, es wären viele.
Christian
Und das ist gehen, eine Treppe hinuntergehen oder hinaufgehen, das passiert automatisch im Unterbewusstsein. Und so wie sie sagt, wäre das eigentlich die linke Hinhälfte, wo diese Fünftritte nicht gesehen hat. Es ist nicht so, ein Treppensteigen, ein Gehen oder auch Fahrradfahren, wenn man es einmal gekonnt hat, kann man es immer.
Und das ist völlig im Unterbewusstsein abgespeichert und das ist auf der rechten Seite abgespeichert. Und das hat mit dem Sinne überhaupt nichts zu tun. Maggie hat dann heute Morgen auch noch gelacht, wo sie gesagt hat, du musst mal lesen.
Sie hat gesagt, du kannst ja auch sagen, du hast bei deinem letzten Fahrradsturz die Wurzel, über die du gestolpert bist, warst du schon bei der siebten Wurzel und bist dann wegen dem gestürzt und hast dein Bein gebrochen. Okay, ja. Hätte sein können, wer weiss.
Ich würde vielleicht mit dem noch in die Zeitung kommen.
Marco
Das kannst du das nächste Mal versuchen. Reden wir noch über Ritalin. Ritalin, das ist ja dieses Medikament, das tatsächlich im weitesten Sinne, es ist natürlich sehr umstritten, das Resultate zeigt in dem Sinne, dass es den ADHS Betroffenen das Leben erleichtert, weil viele Probleme nicht mehr auftreten, aber natürlich anderes dann auch verschwindet, was man vielleicht nicht zum Verschwinden bringen wollte.
Du bist ja ganz ausdrücklich kein Freund von Ritalin.
Christian
Also das ausdrücklich kein Freund stimmt so vielleicht nicht ganz. Es gibt, da habe ich mich auch belehren lassen von meinem Sohn, wo gesagt hat, weisst du Papi, also mein Kollege, da würde gar nichts mehr funktionieren, wenn er nicht Ritalin nehmen würde. Und da verstehe ich das.
Er selbst aber hat das versucht, damals, weil wir von der Schule unter Druck gesetzt wurden, und bei ihm nützte das überhaupt nichts zum Glück. Sei es Ritalin gewesen, nachher hat man mit der Concerta, oder wie das heisst, auch noch versucht, und es hat nicht das gebracht, was es eigentlich sollte, sondern er hat selbst gesagt, ich kann das nicht werden, da bin ich nicht mehr ich. Und das ist das Problem.
Mein ältester Sohn, dem hat man Ritalin verschrieben. Ich konnte zu dieser Zeit, das war kurz nach meiner Scheidung mit meiner letzten Frau, hatte ich da kein Kenntnis davon, ich wusste es nicht. Also ich wusste es erst, als es dann wirklich eingesetzt wurde, vorher hatte ich keine Kenntnisse davon.
Und ich hatte ein Erlebnis, wo ich keinem eigentlich wünschen möchte, dass er das sieht. Ich bin ihn von der Schule, ich habe ihn nach der Schule abgeholt, er kam über den Pausenplatz, gemächlich, gelaufen, ich habe dieses Kind angesehen, ich wusste, es ist mein Sohn, aber ich habe eigentlich nicht meinen Sohn gesehen. Völlig kontrolliert, völlig irgendwie, völlig hinuntergebremst, er war schlichtweg überhaupt nicht mehr sich.
Dieses Bild, das vergesse ich nie mehr. Und das ist das, liebe Eltern, liebe Betroffenen, sei es Lehrer, sei es Psychologen oder was auch immer, seid euch bewusst, dass ihr mit einem solchen Medikament den Charakter, genau diese wunderbare Gabe, kreativ zu sein, vielseitig zu sein, sinnlich zu sein und alles, völlig unterdrückt. Da wird auf diesem wunderbaren Menschen ein Deckel drauf gemacht, dass er das nicht mehr ausleben kann.
Logisch, ich weiss, er kann dann perfekt rechnen, weil er wie in einem Tunnel ist, er ist im rechten Tunnel, er ist in diesem Tunnel, er ist in diesem Tunnel, er kann zuhören in der Schule, kann drauf da sitzen, aber er ist nicht sich. Leider ist es das Häufigste, dass heute in der Gesellschaft, ich sage ausdrücklich Gesellschaft, angewendet wird, von den Eltern unterstützt wird, weil sie es dann auch einfacher haben, von den Lehrern unterstützt wird, weil sie es natürlich auch einfacher haben, von er Psychologin unterstützt wird, weil sie das Medikament verschreiben können und dann, wie gesagt, ich habe meinen Job gut gemacht. Er ist jetzt konzentrierter und besser in der Schule.
Sorry, das kann nicht sein. Wie wollen wir noch in der heutigen Zeit, wo eh nur noch alle aufs Handy schauen, einen völligen Röhrenblick aufs Handy haben, rundherum, ich sehe das, da unten ist der See, und da laufen tagtäglich, spazieren da Mütter mit ihren Kindern, Kleinkindern oder auch grösseren Kindern vorbei, haben nur das Handy vor den Augen, sie sehen diese wunderbare Welt da draussen, das Rauschen der Bäume, das Pfeifen der Vögel links und rechts, die Möwen, die über den See hinausfliegen, die sehen und die spüren das nicht. Wie wollen die dann noch kreativ werden? Man hat einen gesenkten Blick.
Einen gesenkten Blick heisst depressiv, wenn wir in den Boden schauen, wenn du alte Leute siehst, die in den Boden schauen, dann weisst du, irgendwo zwei Meter vor sich, die nichts mit dem Leben zu tun haben. Das ist schon krass, und dann das Ganze zusätzlich zu unterdrücken, und da einen Deckel drauf machen beim Charakter, von einem wunderbaren, tollen Menschen. Wo wird das hin?
Marco
Also ja, sehr zweischneidig, manches wird verbessert, das hast du auch angesprochen, in der Schule läuft es dann meistens besser, aber natürlich geht vieles verloren, ein hoher Preis dafür. Kann man all diesen, sage ich jetzt mal ganz grob, der ganzen Gruppe von Neurodiversität Betroffenen, einen irgendwie pauschalen Rat geben, was sie machen können, um ihre Situation zu verbessern?
Christian
Ja, die Schule sollte die Aufgabe haben, von einem Schüler den Menschen, den Charakter zu entwickeln. Man sollte aus einem Kind in der Schule einen guten Menschen machen, nicht einen perfekten Rechner, ein perfekter das, ein perfekter das. Logisch wird das teilweise in der Gesellschaft erwartet, aber eigentlich sollte man einen guten Menschen machen.
Das war früher ganz klar zu meiner Zeit in der Schule viel, viel besser, wir waren wirklich alle gleich. Das Kind vom Dorfkönig war der gleiche, ich von einem Hilfsarbeitersohn war genau der gleiche Mensch an und für sich, sei es in der Schule gewesen, auf dem Pausenplatz gewesen oder wo auch immer, wir durften wirklich uns sein. Es war eine Zeit, wo nicht jeder ein Fahrrad hatte.
Wenn jemand kein Fahrrad hatte, wenn wir irgendwie mit der Schule zusammen irgendwo einen Theateranlass oder wohin gegangen sind, haben alle ihr Fahrrad zu Hause gelassen und sind alle miteinander, zum Beispiel auf Horken hinuntergelaufen innerhalb von anderthalb, zwei Stunden. Das war völlig normal. Jeder durfte so sein, wie er ist.
Und in der Schule kann man das ganz klar unterstützen. Das ist teilweise in Kantonen, das weisst du besser als ich, du bist ja teilweise auch Lehrer. Und wenn man die verschiedenen Eigenschaften bei diesen Schülern dementsprechend in Klassen unterteilt, das heisst die, die im Deutsch oder Grammatik oder wie es heute auch immer heisst, schlecht sind, sind in dieser Klasse.
Das kann aber auch sein, dass diese, die da schlecht sind, mit dem Besten sind, wenn es um Algebra geht oder was auch immer. Und so kann jeder sich dort entwickeln, wo er gut ist. Und ich sage auch immer, jetzt hier in der Praxis, wenn die Leute kommen, wenn die Eltern kommen, wie kann ich meinen Sohn oder meine Tochter unterstützen?
Dann sage ich, nimm eine Aufgabenhilfe, nicht du selbst, nicht dein Mann, sondern nimm eine Aufgabenhilfe, wie sagt man das?
Marco
Nachhilfeunterricht.
Christian
Nachhilfeunterricht, ja. Gib ihn in einen Nachhilfeunterricht. Und dann sage ich aber ganz klar, gib eine Anweisung, denn Nachhilfeunterricht, zuerst, was du machen solltest, ist, stärke ihn beim besten Schulfach, den er hat.
Weil dieses Kind braucht Erfolgserlebnisse. Und wenn wir das Beste, was er kann, fördern, gibt es ihm mehr Erfolgserlebnisse, um dann an die schwächeren Fächer heranzugehen, um die Motivation überhaupt zu haben, bei den schwächeren Fächern daran zu arbeiten.
Marco
Interessante These, weil tatsächlich macht man es wahrscheinlich in der Realität genau umgekehrt. Man fängt da an, wo es am nötigsten aussieht.
Christian
Du brauchst Erfolgserlebnisse im Leben, du brauchst das. Jeder Mensch braucht Erfolg, egal wie klein oder wie gross er ist. Aber man braucht sie, man braucht Erfolge.
Und du musst die Erfolge bei so einem Kind fördern. Ein solches Kind, das hyperaktiv ist, soll in einen Sport gehen. Möglichst in einen Mannschaftssport, wo jeder auf den anderen angewiesen ist.
Dass das ganze System von dieser Person auch gestärkt wird. Ich werde in dieser Mannschaft gebraucht. Und ich bin jemand in dieser Mannschaft.
Das Selbstbewusstsein, den Selbstwert aufzubauen, ist extrem wichtig. Und dort sollte man viel, viel mehr Beachtung in der Schule schenken. Später in der Ausbildung, in einer Berufslehre.
Wir sind ja in einem Land oder in Europa, wo Berufslehren sehr aktuell sind. Und auch sehr gut sind, gegenüber Amerika oder wo auch immer. Und das soll dementsprechend auch gefördert werden.
Ich habe mal einen Bericht gelesen von einer Schule in Winterthur. Wo ein Schüler seine Abschlussarbeit geschrieben hat. Er kann gefördert werden.
Indem die Prüfungszeit bestimmter Fächer verlängert wird. Oder die Fragen nicht schriftlich gestellt werden, sondern mündlich. All dies umschrieben, wie es besser gehen würde.
Ich habe dann diese Schule angefragt. Wo ich das Buch »Zappel ist gestorben« geschrieben habe. Ich habe die Schule angefragt, ob ich diesen Artikel aus der Zeitung so verwenden dürfte.
Der, der den Artikel über diesen Jungen geschrieben hat, hat mir das okay gegeben. Und ich habe die Schule angefragt, ob ich ihre Schule erwähnen darf. Und sie haben gesagt, nein.
Man wollte das nicht. Nach dem Motto, ja, der hat das okay gut gemacht, aber wir können das und das nicht. Und das ist irgendwo noch verrückt.
Vor Jahren hat die oberste Schulleiterin von Kanton Zürich mal gesagt, wir brauchen 1'000 Heilpädagogen oder Klassenhilfen, um den Kindern zu helfen. 1'000, okay. Mittlerweile haben sie es vermutlich fast erreicht.
Weil sie haben teilweise auch die Ausbildung bezahlt dazu. Für wen werden diese Heilpädagogen verwendet? Wo werden sie eingesetzt?
Nicht beim ADHS, nicht beim Legastheniker, sondern sie werden dort eingesetzt, wo die Sprache, die Schweizer Muttersprache, oder eben nicht Muttersprache, das Deutsch oder was auch immer, nicht geläufig ist. Es wäre okay gewesen, ja. Diese Idee, ja.
Diese Heilpädagogen, die haben wir auch heute. Aber sie werden eigentlich völlig falsch eingesetzt.
Marco
Zum Teil möglicherweise, also sie werden schon auch bei ADHS-Leuten eingesetzt, aber das ist wahrscheinlich nicht der größere Teil.
Christian
Also nicht da, wo ich dann halt eben teilweise die Kinder hier in der Praxis habe.
Marco
Was können wir als abschließenden Rat den jetzt von diesen Erscheinungsbildern selber Betroffenen sagen, den ADHS-Kindern, auch den Erwachsenen? Also eines wahrscheinlich mal, du bist nicht krank, nicht gestört, sondern einfach anders.
Christian
Wenn ich gestört bin, kann ich umgehen damit. Also mir ist wohl damit. Es gibt ja so einen Spruch, hast du eine Schraube locker, hat das Leben ein bisschen mehr Spiel.
Und ich habe gerne einige Schrauben locker. Das macht das Leben viel spannender und interessanter, ja. Es gibt keine kranken Kinder, Erwachsene mit dieser Störung.
Sie haben wunderbare, ganz tolle Eigenschaften, die so genutzt werden dürfen und auch so akzeptiert werden dürfen. Und das ist sehr, sehr wichtig. Ich habe schon immer in meinem Leben alles gemacht, wie ich es wollte, zum Glück.
Ich war schon immer ein Rebell, ich war schon immer, irgendwie habe ich provoziert, weil ich einfach mit vielem nicht einverstanden war. Ich habe meinen Lehrer einmal gesehen an einer Klassenzusammenkunft. Da hat er gesagt, wer bist du?
Er hat gesagt, der Frautschi, Christian. Oh, der Christian, der wusste alles besser. Du hast immer gestört und hast immer hinterfragt und ja, ja.
Okay, gut. Aber ich denke, wie gesagt, es ist eine Charaktereigenschaft. Und ich möchte auch noch erwähnen, ich habe es, glaube ich, irgendwann schon einmal gesagt, ich wollte als Kind Arzt werden.
Durch verschiedene Umstände und eben bestimmte Schulnoten konnte ich nicht in die höchste Oberstufe, Sekundarschule heisst das bei uns, gehen, sondern nur in die Realschule. Man hat dann halt einfach gesagt, okay, lieber ein guter Realschüler als ein schlechter Sekundarschüler. Ja, stimmt.
Aber es gab natürlich schon bestimmte Dinge, die ich nicht gelernt habe als Realschüler. Und so war mir natürlich vieles in den Weg gestellt. Aber ich konnte dann zum Glück wenigstens Automechaniker werden und lernen.
Aber eigentlich war mir vieles verwehrt. Ich wollte Arzt werden, ich wollte studieren, weil der Mensch mich unheimlich fasziniert hat. Ich habe immer alles, was um die Gesundheit ging, als Kind schon immer gesehen, gelesen, hinterfragt.
Ich wollte mehr wissen, aber durch das konnte ich das nie erreichen. Und ich konnte nie aus Büchern lernen. Ich konnte nie aus irgendwelchen Schulungen lernen.
Aber ich habe aus dem Leben gelernt. Und heute kommen die Leute zu mir, wenn der Arzt, wenn die Schulmedizin nicht mehr weiter weiss.
Marco
Also bist am Ende ja da gelandet, kann man so sagen, oder?
Christian
Ich bin da gelandet und ich denke noch ein bisschen mehr. Also egal, wie ihr seid, liebe Leute da draussen. Egal, was für Charaktereigenschaften ihr habt.
Steht zu euch, nehmt euch so an, wie ihr seid. Ihr seid okay, egal wie ihr seid. Und so darf es auch mit den vielen Erwachsenen, die auch im Nachhinein viel, viel später eine Diagnose haben.
ADHS sollen nicht irgendwie in eine, wie soll ich sagen, Opferrolle hineingehen. Und sagen, ich habe jetzt das, ich kann das nicht, sondern nimm das hervor, was du kannst. Und akzeptiere, was du nicht kannst.
Aber viele Leute können etwas nicht. Viele Leute können etwas nicht. Nicht nur Legastheniker, nicht nur ADHSler oder wer auch immer.
Marco
Ja, gute Sichtweise.
Christian
Also, schöne Zeit, bis zum nächsten.







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